Na, neidisch und getriggert, wenn du auf Social Media scrollst?
Warum Neid ein gutes Gefühl ist. Und was wir daraus für uns lernen können.
Diesen Newsletter gibt es, weil ich davon überzeugt bin, dass ein Mensch, der über sich und andere nachdenkt, ein guter Mensch für diese Welt ist. Nie war es wichtiger als heute, im Reinen mit sich und anderen zu sein, verbunden und couragiert, um die Herausforderungen der Zeit zu meistern. Danke, dass du diesen Newsletter liest, ihn teilst und mich mit einem Abo auch finanziell unterstützt. Danke, dass du dich mit mir und der Welt verbindest.
Es gibt diese Menschen in meinem Leben, die ich nicht richtig mag, obwohl ich mich bemühe. Die mich triggern, wenn ich einen Post von ihnen sehe. Es sind nicht viele, eine Hand voll vielleicht. Die meisten von ihnen sind Frauen. Es handelt sich um Frauen, die mir nicht unähnlich sind, oft kennen wir uns vom Sehen oder sogar näher. Es sind Frauen, die ich bewundere und achte, die mir aber irgendwie auch sehr auf die Nerven gehen, weil da irgendetwas an ihnen ist, das mich triggert.
Ich glaube, es ist ihre Unverschämtheit, mit der sie ihr Leben leben. Dass sie sich nicht dafür zu schämen scheinen, dass sie dreimal am Tag Videos über ihre neue Berufung drehen und auf Social Media teilen. Dass sie vor ausverkauften Reihen aus ihrem Dating-Alltag erzählen. Dass sie Geld damit verdienen, Party-Fotos von sich zu posten und in Südafrika am Strand liegen und bräunen, und sich nicht darum scheren, wie oberflächlich das in einer Intellekto-Feminismus-Bubble nun wirken könnte.
Und so lebe ich dann mein Leben und versuche so gut es geht, ihnen aus dem Weg zu gehen, bis, ja bis: Jemand ihren Namen nennt. Mir davon erzählt, dass er oder sie diese Person gelesen hat oder den Podcast gehört oder den Kurs gebucht, und dann dieses Gefühl in mir hochsteigt, dieses Genervtsein.
Ich reagiere dann, und ich reagiere, wie Menschen, die ins beleidigte, trotzige Kind fallen, nunmal reagieren: ich schnöde. Ich verdrehe die Augen oder sage mit dieser mühsamen Stimme ihren Namen nochmals, und weil mein Gegenüber mich ernst nimmt und mich für reflektiert hält, fragt es dann: Ach, die magst du nicht? Warum denn? Ist das, was sie tut, nicht gut?
Da ist er dann. Der Slot. Der Slot, der alles so einfach machen könnte. Der mich gut dastehen lassen könnte, und den anderen schlecht. Ich könnte sagen: Ja, total, blöde Kuh, die kann einfach nicht schreiben, ihr Erfolg ist total überverkauft. Oder ich könnte sagen, ja, dieses eine Mal, als sie mir den Typen ausgespannt hat, sie ist emotional bloss total unsicher, und wusstest du, dass sie nie lange Beziehungen hatte? Hinter ihren schönen Texten verbirgt sie bloss ihre emotionale Instabilität.
Und vielleicht stimmt das alles sogar, vielleicht habe ich das treffend analysiert.
Doch dieser Slot offenbart vor allem auch: mich. Er offenbart, dass ich neidisch bin, und das wiederum offenbart, was mir wichtig ist. Wovon ich mehr möchte. Was ich als erstrebenswert einordne. Er offenbart, wofür ich bisher in meinem Leben noch nicht den Mut hatte und was ich an mir vorbeiziehen liess, wo meine Schwachpunkte liegen und wovon ich denke, dass es mir nicht zusteht, und dass es anderen in den Schoss fällt, aber mir, trotz grossen Anstrengungen: nicht.
Wenn wir Neid spüren, dann tendieren wir dazu, ihn wegzuwischen oder auszulagern, er hat keinen guten Ruf, der Neid, und er scheint so nieder, so prähistorisch, so unentwickelt. Obwohl Social Media unsere Neid-Kultur im Sekundentakt fördert, mögen wir uns nicht gerne eingestehen, dass wir diesen Neid auch wirklich empfinden. Weil wir doch reflektiert sind und erwachsen.
Bis jemand um die Ecke kommt, der vermeintlich lebt, was wir nicht leben, dem vermeintlich alles leichter fällt, weil er eine geradere Nase hat oder Eltern, die vermögend sind, weil er vermeintlich zu einer sozialen Schicht gehört, der alles leicht fällt, weil sie die privilegierte ist. Ein Mensch, der vermeintlich nichts dafür leisten muss, schön, klug und erfolgreich zu sein, und manchmal sogar schlimmer: Erfolg hat mit etwas, das wir auch könnten, dass wir auch wollen, und von dem wir denken, dass wir es besser machen würden, ehrlicher, tiefer, authentischer.
Wenn wir doch bloss… Mehr Zeit hätten. Mehr Geld. Eine andere Vergangenheit. Die besseren Chancen. Das schönere Gesicht. Weniger Skrupel.
Ich habe also vor einiger Zeit damit angefangen, zu sagen: Ja, ich finde sie total doof, und nein, es liegt absolut nicht an ihr. Ich bin bloss getriggert, weil sie etwas lebt, das ich nicht lebe, noch nicht, und das frustriert mich, ich frustriere gerade mich selbst. Und dann sprechen mein Gegenüber und ich manchmal noch eine Weile über unsere Träume und Wünsche, und dann fragen wir einander:
So, und was tun wir jetzt?
Weil es genau darum geht.
Um das Tun.
Weil bloss das Tun den Unterschied macht.
Klar, wir können nicht wissen, wie alles ausgeht, am Ende. Vielleicht versuchen auch wir, ein Buch zu schreiben, und niemand wird es verlegen oder lesen. Vielleicht gehen wir auf 50 Dates und treffen am Ende doch nicht den Typen, der fürs Glücklichsein infrage kommt. Vielleicht wissen wir nach drei Umzügen und fünf neuen Wohnungen immernoch nicht, wo unser Zuhause ist. Aber wir können unsere Zeit immerhin damit verbringen, umzusetzen, Fehler zu machen, Lösungen zu finden, unsere Sprache, unseren Ausdruck, unsere Zugehörigkeit.
Neid ist nichts anderes als ein sehr guter Ratgeber. Ein Wegweiser hin zur Frage: Was schaust du dir bloss an, statt anzufangen? Wo bist du bloss im Kopf, statt loszulegen? Wo siehst du etwas umgesetzt, von dem du dir eigentlich wünschst, dass du es bist, der umsetzt? Du wirst sehen: Sobald du damit beschäftigt bist, dein Leben zu gestalten, hast du viel weniger Ressourcen für das Neidischsein auf andere.
Wenn du also das nächste Mal neidisch bist und dieser Gedanke hochkommt: Wie kann sie bloss, was fällt ihm ein, was denkt der sich, der hat gut reden, sie hat ja einfach Glück, krass, das könnte ich nie, wie soll ich bloss…, besinne dich.
Du weisst nicht, wie hart dieser Weg für diesen Menschen war. Du weisst nicht, ob du wirklich dieses Leben willst. Du weisst nicht, welchen Preis dein Gegenüber dafür zahlt. Du weisst bloss: Etwas daran willst du auch, und etwas daran fühlt sich für dich richtig an. Also nimm’ diesen Teil in dir wahr, mach das Social-Media-Fenster zu oder lauf aus dem Café raus und frage dich:
Und was ist jetzt mein erster, kleiner Schritt in dieses Leben, das ich gerade sah, auf meine Weise?
Und dann, wenn du das rausgefunden hast, gehe zurück zu diesem Menschen, schau ihm ins Gesicht und sage: Weisst du, ich dachte immer, dir fällt alles leicht. Doch ich glaube, das stimmt nicht. Ich bewundere dich. Und ich danke dir dafür, dass du mir aufgezeigt hast, was möglich ist. Auch für mich.
Ich schreibe diesen Newsletter mit viel Herzblut, wie alles andere, was ich in die Welt bringe. Möchtest du mehr über mich und meine Arbeit erfahren, besuche mich virtuell auf www.anna-miller.ch oder auf Instagram.
Ich biete Coachings, Schreibkurse und Begleitung in mental health Themen und digitaler Achtsamkeit und freue mich über deine Zeilen und Anfrage.
Hallo Anna! Schöner Spaziergang durch ein Gedankenland, das mir bewusster wird, wenn ich deine Zeilen lese. Es sind nicht diese Gedanken, an die ich mich gerne erinnere. Aber sie sind da. Und sie kommen wieder. Werde sie mir auch etwas genauer anschauen. Beim nächsten Mal.
Finde es mutig und cool, was du da machst. Und freue mich natürlich auf weitere Texte. Aus dem Leben. Das finde ich so schön. Was du schreibst, verbindet sich schnell mit dem, was auch ich denke und mache. Nur hüpfst du natürlich noch in diese Ecke und in diese. Das Bild wird bunt und lebendig. Ich habe sie dann auch gesehen, die etwas verborgenen Winkel, die wenig ausgeleuchteten Ecken. Schaue rein und denke nach. Vielen Dank für diese Trigger😅😎