Sendest du noch oder entspannst du schon?
Warum du weniger in der digitalen Flut untergehst, wenn du beginnst, weniger zu senden. Und warum das manchmal ganz schön schwierig ist.
Wir senden mittlerweile alle fast ununterbrochen. Viele von uns haben länger auf als jeder Späti einer grossen Stadt. Wir halten jeden Moment unseres Lebens als Sprachnachricht fest und wir kommunizieren jede Regung unseres Kindes im Internet und wir mischen uns in jedem Klassenchat ein und fragen an einem Sonntag Dinge da rein, die wir auch am Montag hätten persönlich klären können. Aber wozu warten? Es heisst ja nicht umsonst instant messaging. Wir denken gar nicht gross darüber nach, wir senden einfach, ohne Pause.
Am Ende wundern wir uns, dass wir digital nie zur Ruhe kommen und beschweren uns über die vielen Nachrichten und sagen, kann ich denn hier nie wirklich mit mir alleine sein?, dabei ist ein Teil von uns ganz eifrig dabei, sofort den Hörer abzunehmen, wenns klingelt, und mitten in einem Maisfeld ins Telefon zu schreien, dass man grad nicht telefonieren kann. Klar, was solls, ist ja nur kurz rangehen. Doch diese Mikrounterbrechungen halten uns davon ab, im Hier und Jetzt anzukommen.
Willst du dich wieder mehr mit dir selbst, anderen Menschen und deiner Umgebung verbinden, hilft es deshalb, wenn du beginnst, dich zu fragen:
Was will ich wirklich teilen?
Und: mit wem?
Wann lohnt es sich für mich, einen Moment zu unterbrechen, indem ich das Smartphone hervorhole und diesen Moment dokumentiere und wann bleibe ich ganz hier und lasse das Dokumentieren und Teilen mal sein?
Eine Möglichkeit ist zum Beispiel, den Moment zu geniessen und erst kurz vor Schluss noch ein "Erinnerungsfoto" zu machen. Oder du machst es umgekehrt und nimmst dir bewusst ganz viel Zeit, um ein Erlebnis zu dokumentieren. Beispielsweise, indem du deine Fotografie-Kenntnisse schulst.
Es geht beim Senden ohne Pause nicht nur darum, dass du dir selbst keinen Raum zugestehst, in welchem mal einfach nicht geredet wird.
Senden wir weniger, empfangen wir weniger. Das ist quasi ein Gesetz.
Möchtest du also weniger digitales Dauerrauschen, überlege dir bewusst, wem du wann was sendest - und auf welchem Kanal. Ob du jedes Foto einzeln schicken willst oder einfach mal alle zusammen. Ob du wirklich mit deiner Freundin fünfzehn Mal schriftlich Terminvorschläge hin und her schicken willst, statt einfach mal kurz anrufen. Ob du wirklich noch eine Antwortsmail mit wenig Informationsgehalt ans ganze Team schickst, um auch zu sagen «Ich nicht.».
Viele unserer digitalen Überlastungen haben auch damit zu tun, dass wir den Sinn dafür verloren haben, wann Kommunikation sich wirklich lohnt, wozu sie dient und in welcher Form sie am effizientesten ist. Mitunter, weil Kommunikation im Gegensatz zu früher gratis ist. Und wir dann denken: so viel wie nötig, so viel wie möglich, ist ja auch egal. Doch das hat Konsequenzen für unseren Energiehaushalt, unseren Fokus und unser Stresslevel. Klar, wir können uns antrainieren, weniger zu reagieren, das Smartphone öfter mal liegen zu lassen, all diese Dinge. Doch gewöhnen wir uns an, weniger zu senden, müssen wir uns umgekehrt auch weniger abgrenzen. Und tun das alle, dann ist allen geholfen.
Das funktioniert aber nicht nur dann, wenn du dir bewusst machst, was eigentlich für Mechanismen ablaufen, sondern vor allem dann, wenn du dir eingestehen kannst:
Ich sende, weil ich Kontakt will.
Weil ich gesehen und gehört werden will.
Weil ich mich sorge.
Weil ich wichtig sein möchte.
Weil ich Dinge erledigt haben will.
Wir senden nicht nur aus Gewohnheit, aus Stress heraus, oder deshalb, weil der andere sendet. Sondern auch: weil wir verbunden sein wollen.
Das ist total in Ordnung. Das ist menschlich.
Das ständige Senden kann dann auch eine Compulsion sein, eine Überprungshandlung also. Eine Art, für dich mehr Kontrolle zu empfinden. Emotionen besser regulieren zu können. Dir Erleichterung schaffen, im Moment, weil du im Grunde nicht sicher bist, ob diese Beziehungen halten. Ob du genug emotionalen Beziehungsboden hast. Das ist eine tiefere, längere Geschichte. Für den Anfang: beobachte einfach, wie es dir geht, wann du sendest, wann es dir digital zu viel Rauschen ist. Und wie du darauf reagierst: Indem du sofort zurückschreibst, in der Hoffnung, dass du dann deine Ruhe hast? Indem du ignorierst? Indem du Grenzen setzt? Beobachte und lerne dich besser kennen.
Folgende Fragen können dich dabei unterstützen, bewusster mit dem Senden umzugehen und deine Verantwortung wahrzunehmen:
Sind Tageszeit und der Kanal angebracht?
Ist die Dringlichkeitsstufe gegeben?
Wäre ein Anruf einfacher?
Ginge das auch gebündelt?
Braucht es diese Kommunikation überhaupt?
Welche Art der Kommunikation erzeugt für mich gerade die grösste Nähe und Verbundenheit?
Wie kann ich meine Wertschätzung ausdrücken, ohne, vollzuspammen?
Wenn dich die vielen E-Mails stören, die du immer erhältst, hör' auf, so viele zu schreiben. Du wirst sehen: Je weniger du sendest, desto weniger erhältst du.
xoxo, Anna
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