Vom Suppe kochen morgens um Vier
Und warum wir unser Leben verarbeiten, wenn wir mit den Händen erschaffen.
Vielleicht, sagte meine Freundin, sollte sie auch Suppe kochen, morgens um vier Uhr, wenn sie nicht schlafen kann, vielleicht sollte sie aufhören, sich in ihrem Bett zu wälzen und Weltuntergangsgedanken zu pflegen und einfach aufstehen und Gemüse pürieren, mitten in der Nacht. So, wie es eine Freundin von ihr tut, wenn sie nicht mehr weiter weiss.
Wie viele von uns nachts nicht schlafen können. An einem Tag, an dem die Sonne scheint, nicht wirklich in die Gänge kommen. Nicht, weil wir keine Lust aufs Leben hätten, sondern, weil da etwas ist, das schwer auf unseren Herzen liegt. Etwas, das uns aufwühlt, uns ohnmächtig fühlen lässt. Vielleicht ist es die Sorge um fehlendes Geld, vielleicht ist es ein Mann, der sich nicht mehr meldet, vielleicht ist es ein Kind, das gerade so krank ist, dass diese unendlich grosse Angst hochkommt, es zu verlieren, oder bloss ein Streit, gestern, mit einer Freundin, und wir müssen nun Spannung aushalten, Ungewissheit.
Dann scrollen wir Timelines runter, oder versuchen, die Augen einfach noch ein bisschen stärker zuzudrücken. Wir fallen in eine Ablenkung, die uns jedes Gefühl nehmen soll.
Statt aufzustehen und handzuwerken.
Dieser Kuchen, den wir backen, dieses Bild, das wir malen, diesen Topflappen, den wir häkeln, all das wird so leicht als Hobby, als seichte Unterhaltung abgetan. Als eine Klischee-Übung. Als etwas, das einfach nett ist, uns gute Laune macht, oder den Nachbarn Freude. Und natürlich ist das, was wir mit unseren Händen erschaffen, oft auch nett, ein Frühlingsgruss zu Ostern, etwas, das jemand vielleicht noch brauchen kann. Handwerk ist einerseits romantisiert, auf Social Media zu einem Lifestyle für die Minimalisten geworden, die in der Natur Pottery-Tiktoks drehen, oder es ist noch immer gefangen, in der Nische der nicht-feministischen Frau, die bäckt und näht, um Jemandem zu gefallen, ihrer Rolle als Mutter gerecht zu werden, oder dem Typen, der in seinen Keller runtersteigt und irgendwelche Dinge schweisst, weil er nicht über Gefühle reden kann.
Doch im Handwerk steckt Mut und Handlung, Heilung und Tun.
Dieser Kuchen ist nicht immer das Geschenk für den Nachbarn. Manchmal ist er revolutionär, weil darin all deine Sorgen stecken. Weil du dich aufgerafft hast und deine Fragen, deine tiefen Sehnsüchte, deine grössten Ängste, in einen Teig reingeknetet hast und dir damit Souveränität schenkst. Handlungsmacht. Du stehst auf und erschaffst, weil du nicht mehr weisst, was du sonst tun sollst, und dann gehst du und werkelst im Keller, rührst eine Zuckerglasur, dann setzt du ein Puzzle zusammen, doch im Grunde setzt du damit dich selbst zusammen, ordnest dein Inneres, lässt raus, was du nicht mehr in dir behalten kannst.
Wenn du also das nächste Mal traurig bist und nicht weisst, was tun, wenn du Angst hast, dass alles auseinanderfällt, wenn du nicht weisst, was du aus diesem Tag machen sollst und ob du je wieder geliebt werden wirst, dann steh’ auf, schalte dein Smartphone aus und fang an, irgendwas zu machen, mit deinen Händen, male, zeichne, töpfere, backe, schraube, zertrümmere, füge zusammen.
Und dann geh’ und streck’ den Leuten dein Leben entgegen, in Form von Brot, einer Schüssel, einem Topflappen, und sag: schau, hier, mit Liebe für dich gemacht.
Und für mich.
Lots of love, Anna
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