Von Angst, Übergängen und Konzert-Stress
Manchmal scheint alles zu viel. Vielleicht war es aber grade gar nicht der grosse Knall, der Angst ausgelöst hat. Sondern bloss, dass sich das Leben immer ändert.
Manchmal bekomme ich einen Stich im Herzen und es wird mir schummrig, und dann merke ich: In ein paar Stunden fahre ich nach einem Wochenende mit Freunden wieder nach Hause, und dann trennen wir uns, nach 48 Stunden Zusammensein in der Gruppe. Und das macht mir Mühe, weil, es ist ein Übergang.
Manchmal komme ich nach acht Stunden Online-Zeit am Laptop nicht richtig runter, und ich sollte doch eigentlich präsent sein im Gespräch, und wir kochen doch gerade zusammen, und dann habe ich diesen Anspruch in mir, dass ich entspannt sein sollte und voll aufgehen in dieser Tätigkeit, aber ich hänge noch immer in der Arbeit, mental, energetisch, digital nervös.
Manchmal kriege ich Angst, wenn ich weiss, dass ich in einer Stunde an einem Konzert sein werde, inmitten Hunderter Menschen, und dass sich alle darauf freuen, ich aber am liebsten zuhause bleiben würde.
Und dann habe ich vor ein paar Tagen ein Video gesehen, auf Instagram.
Es geht darin darum, dass ein Kind Momente im Tag hat, in denen es besonders verletzlich ist, wo sich Dinge im Aussen verschieben, das Aufwachen, das nach Hause kommen von der Schule, das ins Bett gehen. Und dass es dann wichtig ist, für das Kind besonders stark da zu sein und es emotional durch diese Momente zu begleiten.
Und dann hab ich mir gedacht:
Das ist doch auch bei uns Erwachsenen so.
Das ist auch bei mir so.
Und das hat mit meiner Angst zu tun.
Und vielleicht mit deiner.
Wenn ich wieder dieses Herzrasen habe, mitten am Tag, dann habe ich vielleicht zu viel Koffein getrunken oder zu lange meine Mails bearbeitet oder ich habe Liebeskummer und Verlustangst oder aber, auch: habe ich mich nach dem Aufstehen nicht gespürt. Habe ich mir die letzten drei Tage keinerlei Zeit gelassen, mich auf mein Zubettgehen und Einschlafen vorzubereiten.
Wenn ich vor einem Konzert in einer Schlange stehe und wieder Herzrasen bekomme, dann ist das doch eigentlich nur logisch. Ich komme gerade von einem Zuhause, in dem ich alleine war, und in zehn Minuten stehe ich in einem Saal mit Tausend Menschen und schwimme in einer Energie von Musik und Ausrasten mit. Ist es da nicht völlig normal, dass ich mich energetisch gerade auf diesen Wechsel vorbereiten müsste?
Wir denken immer, wir müssen mit allem umgehen können. Dass es keinerlei Begleitung von Übergängen braucht. Weil ja alles gleichzeitig möglich ist. Weil wir krass sind, stark, weil kein Mensch mehr Übergänge braucht. Vier Tage Ostern? Wozu? Die lange Fahrt in den Süden? Geht auch per Flugzeug und schneller. Die Arbeit? Können wir auch während des Abendessens erledigen.
Wir leben in einer pausenlosen, immer übergangsloseren Welt. Dabei hatten wir historisch immer Übergänge. Und haben sie gesellschaftlich anerkannt und gefeiert. Und wir hatten immer Leerräume, in denen wir uns erholen und neu ausrichten konnten, auf neue Rhythmen, Menschen, Klimazonen, Lebensphasen.
Jeder Baum lebt Übergänge, von der Knospe zur Blüte. Warum nicht auch wir?
Wir erleben hunderte Übergänge und Wechsel am Tag, und mir hilft es psychisch enorm, wenn ich erkenne, dass ich meine eigene Empathie und Unterstützung brauche, um diese Wechsel wahrzunehmen, sie anzuerkennen, mich darin ernst zu nehmen, dass sie etwas mit mir machen - und mich dann durch sie hindurch zu begleiten. Indem ich mir sage: Ja, jetzt bist du hier mit allen, und bald fährst du alleine nach Hause, und das tut dir weh, das macht dir Angst. Und das ist in Ordnung. Ich bin da.
Oder, dass ich mir selbst sage: Ah, schau, ein Übergang. Es ist aber auch wirklich laut hier, plötzlich, da hast du völlig recht! Und die vielen Menschen! Wollen wir uns erstmal darum kümmern, was zu trinken zu holen und uns irgendwo hinstellen, wo wir den Überblick haben und uns an die Atmosphäre gewöhnen können?
Ich brauche Übergänge. Beziehungsweise: Das Wahrnehmen von Übergängen. Das Ernstnehmen meiner Gefühle. Und ich muss mir selbst meine eigene Mutter sein, mein Vater, der mich begleitet, von einer Strassenseite eines Moments zur anderen. Mich an die Hand nehmen und sagen: Logisch, Anna, das ist jetzt der Abend, jetzt kommt die Nacht. Das war jetzt dein Arbeitstag, acht Stunden voller Dopamin und Adrenalin, und jetzt runterfahren und sofort für andere präsent sein und so entspannt agieren, als wärst du schon drei Wochen tiefenentspannt auf einem Campingplatz am rumchillen, ist jetzt energetisch einfach zu viel verlangt.
Und das ist in Ordnung. Ich brauche jetzt einfach ein bisschen Zeit.
Wie gehst du mit Übergängen um? Was hilft dir?
Lots of love,
Anna
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Hinüber gehen hilft mir sehr. Ich habe mal angefangen, mir die Zeit zu nehmen, den Übergang vom Wohn- zum Arbeitsort wirklich im Gang, im Gehen zu gestalten. So wird dieser Zwischenraum zum GedankenGang oder zu einer Art Gehpause. Tut gut. Etwas Nachbereitung und schon ein wenig Vorbereitung. Entschleunigt.
Und ein paar Schritte kommen auch noch auf den Zähler😉